Der Biedermeiergarten ist das unbekannte Wesen der Gartenkunst. Dabei gibt es keinen wichtigeren Vorläufer für unsere heutigen Hausgärten als ihn. Nicht die idealisierten Bauerngärten waren für letztere wichtig, da diese in der Regel viel zu armselig waren, um nichtpraktischen Erwägungen viel Raum einräumen zu können, sondern die bürgerlichen Hausgärten zwischen dem Wiener Kongress (1815) und der Märzrevolution (1848). Diese Gärten gehörten dem wohlhabenden Bürgertum und besaßen seit der Renaissance eine eigene Tradition, nur wenig beeinflusst vom Barock- und vom Landschaftsgarten. Da von ihnen keiner mehr erhalten ist, wird ihre Existenz in der Regel einfach übergangen. Wir wissen von ihnen nur noch aus der Literatur und der Malerei der damaligen Zeit. Natürlich konnte ein Landschaftspark für einen Garten von 1000 oder 3000 qm nicht als Vorbild dienen.
Mit dem spätmittelalterlichen Garten hatte der Biedermeiergarten gemeinsam:
- die geringe Größe,
- die Geschlossenheit nach außen (durch Mauer oder Zaun)
und aus der Renaissance
- seinen oft symmetrischen Grundaufbau
(D.h.: Seine Aufteilung durch eine gewichtige Längsachse, die von einem oder zwei Querwegen schräg gekreuzt wurden. Dadurch entstanden vier oder sechs verschieden große Beete. Die Schnittpunkte der Wege wurden durch kleine Rundbeete betont. Dieser Gartentyp hatte neben den großen Gartenstilen seit dem Spätmittelalter immer bestanden. Durch seine geringe Größe und seine vorwiegend wirtschaftlichen Aufgaben war die Vorbildfunktion der höfischen Gärten auf ihn immer sehr gering gewesen).
Während im Barockgarten sich die Natur einer Kunstidee unterordnen musste, im englischen Landschaftsgarten die Natur zum Maßstab der Gartengestaltung wurde, versuchte man im Biedermeier Natur und Kunst zu einer harmonischen Einheit zu führen, so dass die Natur durch die Kunst ihre höchste Vollkommenheit erreichen konnte. Durch die Kunst sollte die Natur auf eine höhere Ebene geführt werden.
Aus dem Barock hatte man den Wunsch nach Abwechslung (Variété) übernommen, aus dem Rokoko den nach Intimität und vom Landschaftsgarten
- die Forderung nach einem "natürlichen Pflanzenwachstum",
- Anregungen zu unregelmäßigen Beetgestaltungen
(Dabei sind die unregelmäßigen Beete eine selbständige Schöpfung des Biedermeiers, wie auch deren Begrenzung durch Gerade und durch Kurvenlinien),
- von Repton stammten einige seiner Anregungen für die Gestaltung der Pleasuregrounds (z.B. das Ersetzen des Ornaments durch natürlichen Blumenschmuck). Seine Vorstellungen wurden jetzt auf den ganzen Garten übertragen.
Im Hausgarten Loudons wurden erstmals viele Kriterien dieses Gartentyps zusammengetragen:
- Auszugehen sei von den persönlichen Bedürfnissen seiner Besitzer.
- Die Aufgaben dieses Gartens seien:
- die körperliche Arbeit,
- die Förderung der Gesundheit,
- das Bereiten von Freuden,
- das Ermöglichen von Geselligkeit,
- wirtschaftliche Belange und
- als geistige Aufgabe, die Verbesserung des moralischen
Empfindens und des allgemeinen Geschmacks.
Für den Menschen des Biedermeiers bestand sein Wohnbereich aus der Einheit von Haus und Garten. Dabei war der Garten keine Fortsetzung der Architektur, sondern allein die seines häuslichen Lebensbereiches. Einerseits öffnete sich das Haus durch Fenster, Balkone und Erker optisch zum Garten, andererseits drang der Garten mit seiner Vegetation bis ins Haus. Das Glashaus mit seinem häufigen Salon war ein Übergangsbereich, in dem der Garten noch bestimmend war.
Die Hauptmerkmale eines Biedermeiergartens waren:
- die Neigung zum Intimen,
- die enge Verbindung zum häuslichen Leben,
- unregelmäßige Beetformen ( in einem regelmäßigen Schema; durch kurvige Wege, besonders an den Randstreifen; neben den Außenmauern waren die Beete
leicht gekurvt und dadurch unregelmäßig),
- Blumenfülle und Blütensträucher (Überfülle frei wachsender, bunter und vielgestaltiger Pflanzen in den Beeten; farblich noch gesteigert durch Glaskugeln),
- Einfassung der Beete durch Eisenbögen oder Pflanzstreifen.
- Glashäuser (u.a. für die Aufnahme der Topfpflanzen im Winter),
- unregelmäßige Verteilung von Spielgeräten (knallig gestrichen),
- gleichzeitiges Vorhandensein von Obst, Gemüse (besonders Spargel und Kürbis) und
Zierpflanzen,
- oft großes botanisches Interesse der Besitzer,
- besondere Zuneigung zu Sonne und Licht,
- Mitgehen mit den Jahreszeiten,
- oft ein Ort häuslicher und freundschaftlicher Geselligkeiten.
Anders als der Landschaftsgarten diente der Biedermeiergarten allein dem Genuss und der Bequemlichkeit seiner Bewohner. Er war ein erweiterter Wohnbereich im Freien, der als Ausdruck der allgemeinen Lebenslust wieder die Freude an Farben und Düften aus der Renaissance aufnahm und damit auch die Freude an Blumen. Mit dem Biedermeiergarten kehrten die Blumen wieder in unsere Gärten zurück. In der gesamten Kunst wurden sie jetzt zum wichtigsten Symbol. Bestimmte Eigenschaften von ihnen wurden mit dem menschlichen Leben in Beziehung gebracht. Besonders die Rose erlangte eine erneute Aufwertung (nach der Spätantike und den Marienkulten). Verwendet wurden hauptsächlich Topfpflanzen, die im Winter in die Glashäuser kamen. Schnittblumen waren weniger beliebt, da sie verwelkten .
Die Blumen wurden für den Biedermeiergarten geradezu bestimmend. An ihrer Anzucht war der Gartenbesitzer fast immer selber beteiligt. Viele neue Blumenarten wurden für die Gärten entdeckt: U.a. Fuchsien, Dahlien (= Georginen), Pelargonien, Petunien, prächtige Blattpflanzen und bei den Sträuchern Magnolien, Remontant-Rosen, Spiräen, Weigelien u.v.a.. Die Frauen entdeckten die Gartenarbeit für sich als angenehme Ergänzung zur Hausarbeit. Der Garten lieferte ihnen Obst, Gemüse und Zimmerschmuck. Für die Kinder wurde er zur Stätte ihres Spiels und ihrer Erziehung. Neben seiner Funktion als Ort angenehmer Arbeit diente er auch als Ort der Geselligkeit und als Statussymbol. Es war die Zeit, in die Gartenbaugesellschaften entstanden und die ersten Gartenbauausstellungen veranstaltet wurden. Man wollte Bewunderung erregen, Sensationen bieten, die seltensten, buntesten Pflanzen, größten Früchte präsentieren.
Nicht das Haus, sondern der Garten war für den Biedermeierstil bestimmend. Vom Garten wurden seine Schmuckformen ins Haus übernommen (z.B. Bezüge mit Blumenmustern, Teppiche mit Blumen, Blumenbilder, künstliche Blumen). Nie vorher hatte der Garten für die Menschen eine so große Bedeutung gehabt, beziehungsweise drückte sich das Wesen einer Epoche so intensiv in einem Garten aus. Mag seine künstlerische Bedeutung im Einzelfall vielleicht gering gewesen sein, seine kulturhistorische war für seine Zeit kaum zu überbieten.
Nach 1850 begann der Verfall des Biedermeiergartens. Seine Formen erstarrten oder wurden stilisiert. Die Bedeutung des Rasens nahm zu und in die Gärten gelangten historisierende Elemente. Nicht mehr Privatpersonen waren die wichtigsten Auftraggeber sondern die Kommunen. Der Nutzgarten wurde wieder (wie im Barock) aus dem Ziergarten ausgeschlossen, Gewächshäuser nur noch selten gebaut und die früher beliebten Spielgeräte an einem gesonderten Spielplatz zusammengefasst.
Ab 1860 verselbständigten sich die einzelnen Gartenteile zu Funktionsbereichen. Die Stilisierung erreichte um 1880 in den Teppichbeeten ihren Höhepunkt. Die früheren Blumenbeete wurden durch Rasen ersetzt und die Gehölze zum bestimmenden Gartenelement. Es war die Rückkehr zum Biedermeiergarten gewesen, wie er vor 1850 bestanden hat, die Schulze-Naumburg gefordert hatte, in seinen Anfängen einer der Reformer des modernen Hausgartens in Deutschland. Wegen deren Kenntnis wollte er wieder eine Verflechtung von Nutz- und Ziergarten.
Der Biedermeiergarten war zwar in der Zeit der deutschen Klassik entstanden, stand aber inhaltlich zu ihr weitgehend im Gegensatz:
- Das Verhältnis zur Natur war im klassischem Gedankengut weniger direkt. Es war dort geistig überhöht.
- In klassisch gestalteten Bereichen wurden architektonische Lösungen vorgezogen (viel Steinwerk: Treppen, Balustraden),
- Auch verwiesen immer wieder Skulpturen, Vasen und Säulen auf einen antiken Bezug.
Heute hat uns der Biedermeiergarten nur noch über die Literatur (u.a. Stifter, Keller, Uhland) und die Malerei (u.a. Ludwig Richter) erreicht. Er war dort oft als ein Idealtyp für das Paradies dargestellt worden. Bis etwa 1650
wurde das Paradies immer als ein gestalteter Garten gezeigt, danach (durch Milton) als eine Ideallandschaft. Jetzt, am Ende der Romantik, war man wieder zur ersten Auffassung zurückgekehrt. Wie das Paradies galt der Garten jetzt
- als ein Ort der Sehnsucht für ein glückliches Leben,
- als Zufluchtstätte,
- als Hintergrund für ein glückliches Familienleben,
- als Symbol für eine gute Zeit,
- als eine Vereinigung von bäuerlichem und bürgerlichem Leben (bedeutsam, weil viele der neuen Bürger ursprünglich aus der bäuerlichen Welt stammten).
In dieser Zeit versuchten die neu entstandenen Landesverschönerungsvereine die Erdoberfläche in ein Paradies zu verwandeln.. Dadurch sollte die "Landeswohlfahrt" verbessert werden, über die "Landeswohlfahrt" das "Wohlbefinden der Menschen" und über dieses wiederum deren sittliche Standfestigkeit, einem Erziehungsideal des Biedermeiers.
Ein Biedermeiergarten war wie ein heutiger "Biedermeierstrauß": bunt und abwechslungsreich, eingefasst von einer Manschette. Seine Gartenbauten waren in ihm frei verteilt und unterwarfen sich keinem architektonischem Schema oder übergeordnetem Programm. Die Gärten wollten einfach gefallen. Ihre Einheit entstand durch die Blumen, die die verschiedensten Gartenteile miteinander verbanden. Durch die Pflanzen wurden auch Haus und Garten zusammengebracht. Die Gartengebäude erlaubten eine intensivere Nutzung des Gartens. Der Biedermeiergarten war kein "englischer Landschaftsgarten en miniature" oder eine Wiederholung barocker Beetformen. Er war auch keine Wiederholung der bisherigen Hausgärten, sondern er war mit seiner Blumenfülle etwas Neues. Aus ihm ist unser moderner Hausgarten hervorgegangen.
Unsere heutigen Hausgärten haben aus dem Biedermeier übernommen:
- ihre intime Raumgestaltung,
- die Verbindung von unregelmäßigen und regelmäßigen Formen,
- die Verbindung von Nutz- und Erholungsbereichen.
In den öffentlichen Anlagen stammen aus ihnen (über die "Volksparks"):
- die Vergnügungsangebote für die Besucher (Was der Privatgarten für die Einzelperson bot, sollte der Volkspark für die Großstadtbevölkerung bereitstellen:
- an Restaurants Blumengärten,
- intime Räume mit einer Blumenfülle,
- Spielplätze,
- Blumenschauen.
- u.a. wurden aus Kostengründen viele ehemalige Ansätze verändert: z.B.
- Stauden statt Sommerblumenrabatten,
- durchgehende Rasenflächen statt Solitärpflanzen im Rasen).